Auf Onlinelehre reagiert der Körper anders

Beate Brand Saberi und Morris Gellisch im Histologiesaal der Ruhr Universität BochumAuf Onlinelehre reagiert der Körper anders

Moderater Stress kann das Lernen fördern. Ob er in gleichem Maße bei Onlinelehre wie Präsenzlehre auftritt, haben Forschende der Ruhr-Universität Bochum untersucht. Sie maßen verschiedene physiologische Parameter bei Studierenden, die entweder digital oder in Präsenz einen Anatomie-Kurs absolvierten. Obwohl die Kurse mental gleichermaßen fordernd waren, zeigte die Online-Gruppe einen signifikant geringeren physiologischen Erregungszustand. Die Ergebnisse beschreibt ein Team um Morris Gellisch und Prof. Dr. Beate Brand-Saberi in der Zeitschrift „Anatomical Sciences Education“, online veröffentlicht am 29. Juli 2022.

Physiologischer Stress äußert sich zum Beispiel in erhöhten Werten des Stresshormons Cortisol, verminderter Herzratenvariabilität und einer erhöhte Herzrate. „Es ist bekannt, dass Stress starken Einfluss auf Lern- und Gedächtnisprozesse und auch auf das Aufrechterhalten der Aufmerksamkeit hat“, sagt Morris Gellisch. Und zwar nicht nur negativen Einfluss. Ein moderater physiologischer Erregungszustand wirkt positiv, wenn er zeitlich im Kontext der Lernaufgabe auftritt.

„Bislang wurden die Unterschiede zwischen Präsenz- und Onlinelehre häufig mit Fragebogenstudien untersucht, in denen subjektive Parameter wie Motivation oder empfundener Stress erhoben wurden“, schildert Gellisch. „Da Lernen aber eine klare physiologische Komponente besitzt, hat sich die Frage aufgedrängt, ob es hier ebenfalls Unterschiede gibt.“

Anatomie-Kurs digital und in Präsenz

Die Forschenden analysierten daher die Herzratenvariabilität und die Speichel-Cortisol-Konzentrationen von 82 Studierenden während eines Anatomie-Kurses. Dieser fand als Blended-Learning-Veranstaltung statt: Die Studierenden waren in Gruppen eingeteilt, und für jede Gruppe folgte auf einen Online-Kurstag ein Präsenz-Kurstag. An jedem Kurstag gab es somit eine Gruppe, die im Histologiesaal Präsenzunterricht erhielt, und eine weitere Gruppe, die das gleiche Unterrichtsgeschehen zeitgleich online verfolgte. An einem repräsentativen Kurstag maßen die Forschenden die Herzratenvariabilität mit speziellen Sensoren über die gesamte Kurszeit von 120 Minuten. Außerdem nahmen sie zu Beginn, nach 60 Minuten und zum Ende des Kurses Speichelproben. Die Studierenden, die über eine Videoplattform teilnahmen, führten die Messungen mit den gleichen Materialien und einer Schritt-für-Schritt-Anleitung selbst durch.

Die physiologische Erregung war während des Online-Kurstags signifikant vermindert. Das zeigte sich in geringeren Cortisol-Konzentrationen, geringerer sympathischer Aktivität und erhöhter parasympathischer Aktivität. Die beiden letzten Werte lassen sich aus der Herzratenvariabilität ableiten und sind ein Maß für die Anspannung: An Online-Kurstagen waren die Studierenden entspannter.

Fragebogendaten zusätzlich ausgewertet

Zusätzlich zu den physiologischen Werten ermittelte das Team mit Fragebögen auch subjektiv empfundene Parameter, etwa wie viel Freude die Kursteilnahme machte. Ein Ergebnis: Eine erhöhte Aktivität des sympathischen Nervensystems korrelierte mit erhöhter Freude während der Präsenzlehre. Diese Korrelation fand sich nicht in der Online-Gruppe.

Förderung

Die Studie wurde unterstützt durch die Forschungsförderung an der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum (FoRUM) unter dem Förderkennzeichen F1028-2021.

 

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Morris Gellisch
Anatomie und Molekulare Embryologie
Fakultät für Medizin
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 25212
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

 

Originalpublikation:

Morris Gellisch, Oliver T. Wolf, Nina Minkley, Wolfgang H. Kirchner, Martin Brüne, Beate Brand-Saberi: Decreased sympathetic cardiovascular influences and hormone-physiological changes in response to Covid-19-related adaptations under different learning environments, in: Anatomical Sciences Education, 2022, DOI: 10.1002/ase.2213, https://anatomypubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ase.2213


Foto: Beate Brand-Saberi und Morris Gellisch im Histologiesaal der Ruhr-Universität Bochum

Hohe Studierendenzufriedenheit und bessere Prüfungsergebnisse - Studie untersucht voll digitalisiertes Lehrformat

studienzufriedenheitHohe Studierendenzufriedenheit und bessere Prüfungsergebnisse - Studie untersucht voll digitalisiertes Lehrformat

Ulmer Medizinstudierende sind mit einem voll digitalisierten Biochemie-Seminar sehr zufrieden und schneiden danach auch besser in der Prüfung ab. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Ulm, in der untersucht wurde, wie eine coronabedingt vollständig online abgehaltene Lehrveranstaltung im Vergleich zum in Präsenz angebotenen "Inverted Classroom"-Konzept abschneidet. Bei diesem modernen Lehrkonzept des "umgedrehten Klassenzimmers" eignen sich die Studierenden den Lernstoff zuerst selbst an und vertiefen ihn danach im Austausch mit den Dozierenden.

Die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung der Lehre auch an Hochschulen massiv vorangetrieben. An der Universität Ulm wurde nun für ein Biochemie-Seminar aus dem Medizinstudium untersucht, ob voll digitalisierte Lehrveranstaltungen im Hinblick auf die Studierendenzufriedenheit und den Lernerfolg ein guter Ersatz sind oder eben nicht. Dafür wurde ein sogenanntes „Inverted Classroom“-Konzept in kürzester Zeit in ein komplett online-basiertes Lehrformat umgewandelt. Der Vergleich zeigte: Bei einer gleich hohen Studierendenzufriedenheit schnitten die Studierenden nach dem voll digitalisierten Seminar in der Prüfung sogar besser ab als nach der ursprünglichen Lehrveranstaltung im „Inverted Classroom“-Format.

„Inverted“-Konzepte stellen die traditionelle universitäre Lehre sozusagen auf den Kopf. Anstatt des klassischen Frontalunterrichts, wie er aus der Vorlesung bekannt ist, gibt es im „Inverted Classroom" eine vorangeschaltete Selbstlernphase. „Die Studierenden eignen sich das Basiswissen in Eigenarbeit an, und dieses Wissen wird dann in der Präsenzphase im Austausch mit anderen Studierenden und den Dozierenden trainiert beziehungsweise vertieft. So gewinnt man in der Präsenzphase Freiräume, in denen der Lernstoff vertieft werden kann“, erklärt PD Dr. Susanne Kühl, Gruppenleiterin am Institut für Biochemie und Molekulare Biologie der Universität Ulm. In der von ihr geleiteten Studie hat ihr Team untersucht, wie ein voll digitalisiertes Unterrichtsformat im Vergleich zum „Inverted Classroom“ abschneidet.

Untersucht wurde im Rahmen der medizinischen Promotion von Lena Dahmen ein Biochemie-Seminar für Studierende der Humanmedizin im zweiten Semester. Verglichen wurde das „Inverted Classroom“-Konzept aus dem Sommersemester 2019 mit einer voll digitalisierten Nachfolgeveranstaltung aus dem coronabedingten Online-Semester im Sommer 2020. Bei der Veranstaltung mit dem Titel „Vom Gen zum Protein“ ging es einerseits um die Vermittlung fachlicher Grundlagen aus der Proteinbiochemie, andererseits um die Aneignung von Kommunikationskompetenzen. Die Studierenden müssen dafür grundlegende biochemische Prozesse verstehen lernen und diese mit entsprechenden Krankheiten in Verbindung bringen können. Außerdem trainieren sie unter anderem, wie man wissenschaftliche Diskussionen und Arzt-Angehörigen-Gespräche führt.

Die Lehrmittel, die in beiden Formaten zur Anwendung kamen, sind vielfältig. Dazu gehören Lehrfilme, einführende Buchkapitel, Arbeitsblätter oder Quiz-Aufgaben. Bei der Veranstaltung im Sommersemester 2019 war es möglich, den Lehrstoff an der Universität zu vertiefen und dabei mündliche Prüfungen und ärztliche Gespräche im Präsenzunterricht zu trainieren. Zudem konnten Gruppenarbeiten durchgeführt werden. Ein Jahr später mussten alle Seminarinhalte digitalisiert und das Arzt-Angehörigen-Gespräch im Tele-Format simuliert werden.

Im direkten Vergleich zwischen beiden digitalen Lehrformaten zeigte sich, dass die Studierendenzufriedenheit, die bereits beim ursprünglichen „Inverted Classroom“ sehr hoch war, bei der voll digitalisierten Nachfolgevariante keinesfalls niedriger war. Ermittelt wurde diese über die regulären Fragebögen zur Lehrevaluation der Medizinischen Fakultät, die in den digitalen Semestern um spezifische Fragen zur Online-Lehre erweitert wurden. Was die Dozentin und ihr Team überraschte, waren die Ergebnisse zum Lernerfolg. Dieser war bei der Veranstaltung aus dem Pandemie-Semester sogar noch höher. Bei gleichem Vorwissen schnitten die Teilnehmenden im Sommersemester 2020 in der schriftlichen Prüfung signifikant besser ab. „Dieses Ergebnis deckt sich mit den Resultaten anderer Studien zur Online-Lehre an Hochschulen, aber auch zum Online-Unterricht an Schulen. Es zeigt, dass digitale Lehrveranstaltungen in der Tat ein guter Ersatz sein können“, so Susanne Kühl. Allerdings dürfe nicht vergessen werden, dass gerade die Präsenzlehre für soziale Kontakte und die Persönlichkeitsentwicklung enorm wichtig seien, merkt die Dozentin an.
Dr. Susanne Kühl, die sowohl das Hochschuldidaktikzertifikat Baden-Württemberg, als auch einen „Master of Medical Education“ erfolgreich erworben hat, erhielt 2018 den Universitätslehrpreis der Universität Ulm. Sie wurde mehrfach von der Fachschaft Medizin sowie von der AG Lehrforschung der Medizinischen Fakultät für ihr Engagement und ihre Forschung im Bereich Lehre ausgezeichnet. Empfehlen lassen sich somit gut durchdachte Lehrkonzepte, in denen sich Präsenz- und Digitalformate abwechseln.

Text: Andrea Weber-Tuckermann

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

PD Dr. Susanne Kühl, Institut für Biochemie und Molekulare Biologie, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.


Originalpublikation:

Dahmen L, Schneider A, Keis O, Straßer P, Kühl M, Kühl SJ (2022): From the inverted classroom to the online lecture hall: effects on students’ satisfaction and exam results, Biochemisty and Molecular Biology Education, 16 July 2022
https://doi.org/10.1002/bmb.21650


Foto: PD Dr. Susanne Kühl (Mitte) mit der Erstautorin der Studie, Lena Dahmen (l.), und einem weiteren Co-Autor, Patrick Straßer (r.) (privat)

Sozialministerium Sachsen fördert Beratung für Praxisanleitende und Azubis in der Pflege

sms2020Sozialministerium Sachsen fördert Beratung für Praxisanleitende und Azubis in der Pflege

Zum 1. September 2022 wird es an der TU Dresden eine Beratungsstelle zur Pflegeausbildung insbesondere für praxisanleitende Personen und Auszubildende geben. Diese wird finanziell mit Bundes- und Landesmitteln in Höhe von 173.000 Euro durch das zuständige Sozialministerium unterstützt. Die Laufzeit des Modellprojektes ist vorerst auf 12 Monate begrenzt. 

Das Projekt will u. a. zielgruppenspezifische Beratungsformate konzipieren und eng mit den Trägern der berufspädagogischen Fortbildungsangebote zusammenarbeiten. »Wir hoffen, dass sich die Unterstützung der Praxisanleiterinnen und Praxisanleiter auch positiv auf die Auszubildenden auswirkt und damit der mitunter hohen Abbruchquote besonders zu Beginn der Ausbildung erfolgreich entgegengewirkt werden kann«, so Sozialstaatssekretärin Dagmar Neukirch bei der heutigen Übergabe des Fördermittelbescheides in Dresden.

Praxisanleitende Personen sind in den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern die direkten Ansprechpartner der Auszubildenden. Sie sind in einer doppelten Funktion als Pflegefachkraft und Praxisanleiterin oder Praxisanleiter besonders gefordert, denn sie vermitteln die beruflichen Kompetenzen indem sie theoretisches Wissen mit den konkreten Tätigkeiten in der Praxis verbinden. Und sie stehen den Auszubildenden in den Einrichtungen als Ansprechpartner zur Verfügung, sind Lehrer, Betreuer, Bezugsperson und Helfer bei Problemen. In ihrer Tätigkeit sehen sich die Praxisanleiter mit einer Vielzahl von Schwierigkeiten konfrontiert. Sie erhalten mitunter nur eine geringfügige Freistellung von anderen Tätigkeiten, es mangelt an Rückhalt und Anerkennung. Besonders wenn die eigene Weiterbildung lange zurückliegt, fehlt dann zudem die kollegiale Beratung und Vernetzung mit anderen Praxisanleiterinnen und Praxisanleitern. 

Im Rahmen eines zunächst auf ein Jahr angelegten Projekts an der Professur für Gesundheit und Pflege/Berufliche Didaktik der TU Dresden unter Leitung von Prof. Dr. Anja Walter sollen Kontakt- und Beratungsmöglichkeiten geschaffen werden, damit die praxisanleitenden Personen in ihrer wichtigen Berufung unterstützt werden. Das Projekt wird evaluiert.


Originalmeldung: https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/1052066