Lehrbuch Patientenberatung (Schaeffer, Doris und Sebastian Schmidt-Kaehler (Hrsg.) )Verlag Hans Huber, Bern 2006, 304 S., 17 Abb., 8 Tab., 29,95 €, ISBN-13: 978-3-456-84368-1Rezension von: Prof. Dr. Uta Oelke |
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Obwohl es zahlreiche Indikatoren dafür gibt, dass „Beratung“ zu einem zentralen neuen Handlungsfeld Pflegender werden könnte, stellt sich die diesbezügliche Literaturlage bislang recht spärlich dar. Umso erfreulicher ist es, dass nun innerhalb nur eines Jahres zwei Publikationen erschienen sind, die sich der Thematik in sehr umfassender und einander ausgezeichnet ergänzender Form widmen.
Das von Doris Schaeffer und Sebastian Schmidt-Kaehler herausgegebene „Lehrbuch Patientenberatung“ verfolgt die übergreifende Zielsetzung, „Impulse für die weitere Diskussion über die Patientenberatung und Nutzerinformation“ zu setzen (ebd., S. 14). Hierzu soll erstens ein Überblick über internationale Entwicklungen gegeben, zweitens die Theorieentwicklung aufgezeigt und drittens ein Einblick in die Praxis der bundesdeutschen Patientenberatung vermittelt werden. Interdisziplinarität wird dabei nicht nur als Merkmal des gesamten Gegenstandsbereiches – also der Patientenberatung – gesehen, sondern gehört auch zur Programmatik des vorliegenden Buches: Es wurde von Autor/innen unterschiedlicher Disziplinen – Gesundheitswissenschaften, Pflegewissenschaft, Sozial- und Erziehungswissenschaft u. a. – verfasst und wendet sich gleichermaßen an Leser/innen dieser verschiedenen Fachrichtungen. Als Zielgruppe werden dabei sowohl Studierende wie auch Praktiker/innen und Wissenschaftler/innen anvisiert.
Entsprechend der Zielsetzung gliedert sich das Buch in drei Teile. Im Teil I stehen „Internationale Perspektiven“ zur Patientenberatung und Nutzerinformation im Vordergrund. Zunächst wird die Situation in fünf Ländern – Großbritannien, Australien, USA, Dänemark und Schweden – aufgezeigt und anschließend detailliert auf die Entwicklung in Deutschland eingegangen. Interessant ist nicht nur der Einblick in die Vielschichtigkeit internationaler Entwicklungen, sondern auch in deren unterschiedliche Bewertungen. Einerseits wird der Patientenberatung ein enormes Potenzial zugeschrieben: So wird beispielsweise für Großbritannien prognostiziert, dass durch sie „bis 2020 aufgrund gestärkter Selbstversorgungskompetenzen die Zahl der Besuche bei Allgemeinärzten um 40% und die Zahl der stationären Krankenhausaufenthalte um 17% gesenkt werden könne“ (ebd., S. 19). Des Weiteren wird ihre Relevanz bei der Stärkung von Patientenrechten und der Demokratisierung des Gesundheitswesens positiv hervorgehoben. Auf der anderen Seite werden auch kritische Aspekte benannt, wie beispielsweise die eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten für sozial- und bildungsbenachteiligte Personengruppen. Oder es wird die Problematik einer rein ökonomisch, auf Kundenwerbung bzw. Konsumentengewinnung ausgerichteten Beratungsphilosophie diskutiert.
Im Teil II – vom Umfang her dem Hauptteil des Buches – geht es um „Konzeptionelle Aspekte der Patientenberatung“. Hier werden an erster Stelle zentrale Beratungskonzepte dargestellt: Im Mittelpunkt stehen dabei theoretische Hintergründe und Handlungsmaximen einer alltags- und lebenswelt-, ressourcen- und lösungsorientierten, Diversität berücksichtigenden und Empowerment fördernden Beratung. Der bei diesen Ausführungen durchschimmernde sozialpädagogische Blick ist sehr erhellend und bereichernd, hätte jedoch in Bezug auf die besondere Lebenslage der spezifischen Klientel „Patienten/-innen/Angehörige“ – ihre mitunter existenziellen Bedrohungen und biografischen Umbrüche – an einigen Stellen etwas pointierter sein können (das trifft besonders für die Ausführungen zur „Lösungsorientierten Beratung“ zu; vgl. ebd. S. 106 ff.). Der prinzipiellen Klärung folgen in einem zweiten Abschnitt eine Abgrenzung von Information, Aufklärung, Beratung und Therapie. Dies geschieht nicht nur auf einer definitorischen Ebene, sondern sehr viel tiefgehender, indem die Interventionslogiken der vier Bereiche systematisch einander gegenübergestellt werden. Dabei wird sehr schön herausgearbeitet, dass und weshalb Beratung weder „kleine Psychotherapie“ (ebd., S. 128) noch bloße Informationsweitergabe ist. Vielmehr ist sie eine pädagogische Intervention, die sich durch einen spezifischen Mix an Herausforderungen – vom kontextuellen Fallverstehen über die Perspektivübernahme bis hin zur Förderung von Handlungskompetenz – charakterisieren lässt. Den handlungsbezogenen schließen sich in einem dritten Abschnitt institutionsbezogene Überlegungen an. Hier wird differenziert dargelegt, dass und inwiefern zentrale Aufgaben institutionalisierter Patientenberatung in der Übernahme unterschiedlicher Funktionen, z. B. Kontakt-, Wegweiser- und Beschwerdefunktionen, liegen. Im Blick auf die konkrete Aufgabenwahrnehmung wird erörtert, welche Möglichkeiten, aber auch Grenzen die Beratungseinrichtungen haben, ihre Klientel beim Bewältigen von Krankheit, Lösen von Problemen, Treffen von Entscheidungen u. a. zu unterstützen. Der Tatsache, dass es unterschiedliche Formen bzw. Kommunikationswege gibt, Patienten/-innen zu beraten, wird der vierte Abschnitt gerecht. Hier werden Nutzerdaten, Merkmale, Vorteile und Probleme der Face-to-Face-, Telefon- und Internetberatung aufgezeigt. Ein ganz besonderes Verdienst dieses Abschnitts ist die ausgesprochen differenzierte Beleuchtung der Thematik, die vorschnellen Meinungen wie z. B. „das Gespräch ist die einzig effektive Beratungsform“ Einhalt gebietet und zur abwägenden Einschätzung bzw. Nutzung der verschiedenen Kommunikationsmöglichkeiten auffordert. Den Abschluss des zweiten Teils bildet ein Abschnitt, der den Nutzer/innen des Beratungswesens gewidmet ist. Hier erhält man u. a. sehr interessante und aktuelle Daten zu Alter, Geschlecht, sozialer Herkunft und Bildungshintergrund der Beratungsempfänger/-innen sowie Hinweise über von ihnen nachgefragte Themen.
Teil III enthält sieben Beiträge zu den „Praxisfeldern der Patientenberatung und Nutzerinformation“. Hier zeigt sich zum einen der innerhalb von nur wenigen Jahren in Deutschland entstandene Facettenreichtum an Beratungsaktivitäten, -themen und -institutionen. Er reicht von „allgemeiner“ Verbraucher- bzw. Patientenberatung über Krankenversichertenberatung durch Callcenter, Arzneimittel- oder zahnärztlicher Beratung bis hin zur Online-Beratung für Menschen mit Essstörungen. Zum anderen machen die beschriebenen Praxisbeispiele nochmals komprimiert zentrale Spannungsfelder der Patientenberatung deutlich – beispielsweise Unabhängigkeit vs. Interessenorientierung; emanzipatorische vs. ökonomische Motivation; punktuell-situativ vs. kontextuell-biografisch ausgerichtete Beratungsstrategien; Vorstellungen vom Patienten als zu umwerbenden Kunden bzw. Konsumenten vs. Vorstellungen von ihm als eher leidendem, unterstützungsbedürftigem Menschen. Und zum dritten illustriert gerade dieses Kapitel noch einmal explizit, was Herausgeber/-innen und Autor/innen an vielen anderen Stellen des Buchs betont haben: dass es in Deutschland zwar einen enormen Wachstum an Beratungsaktivitäten, jedoch noch wenig Forschungsergebnisse dazu gibt, ob, inwiefern und wodurch diese wirksam sind.
Insgesamt zeichnet sich das von Doris Schaeffer und Sebastian Schmidt-Kaehler herausgegebene „Lehrbuch Patientenberatung“ durch eine enorme, auf das Wesentliche komprimierte Informationsdichte und -vielfalt aus. Gleichzeitig enthält es viele kritisch reflektierende Passagen, die den Leser bzw. die Leserin zum Innehalten und Nachdenken anregen. Dabei ist es ausgesprochen gut zu lesen und sogar manchmal – für ein Fachbuch ungewöhnlich – richtig spannend. Nicht zuletzt sind der systematische Aufbau, die Auswahl der Beiträge und die „einheitliche Handschrift“ des Buches ein Beleg dafür, dass Herausgeber/-innen und Autor/innen „interdisziplinäre Zusammenarbeit“ nicht nur propagieren, sondern in überzeugender und ausgezeichneter Form umzusetzen in der Lage sind.
Hinsichtlich der eingangs aufgestellten Annahme, dass Beratung zu einem zentralen Tätigkeitsfeld Pflegender werden könnte, ist das Buch von Schaeffer/Schmidt-Kaehler eine hervorragende Grundlage, die Pflegenden auf einer interdisziplinären Basis sowohl theoretische Hintergründe liefert wie auch vielfältige Handlungsoptionen aufzeigt. Die Frage jedoch, was das speziell für die pflegerische Profession und deren Handeln bedeutet, bleibt offen. Und genau an dieser Stelle setzt das Buch von Christa Hüper und Barbara Hellige „Professionelle Pflegeberatung und Gesundheitsförderung für chronisch Kranke“ an. (Rezension in der nächsten Ausgabe von PrInterNet).