Praxisleitfaden Stationsleitung, Handbuch für die stationäre und ambulante Pflege (Rezension)

Praxisleitfaden Stationsleitung, Handbuch für die stationäre und ambulante Pflege (Schäfer, Wolfgang und Peter Jacobs)

Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, 2002, 393 S., 24,90 € - ISBN 3-17-017029-5

Rezension von: Carsten Förstmann

Das Einleitungsmotto auf der ersten Seite könnte den Mitarbeitern, die in der Stationsleitung arbeiten oder sich dafür interessieren, schon den Mut nehmen ("Die Stationsleitung ist nicht nur für das verantwortlich, was sie tut, sondern auch für das, was sie nicht tut."). Auch der Umfang des Praxisleitfadens ist beträchtlich (fast 400 Seiten) und weist auf die Komplexität des Aufgabenbereiches hin. Dadurch konnten aber sowohl die vordergründigen und auf den ersten Blick sichtbaren als auch die scheinbar nebensächlichen Aspekte ausführlich beleuchtet werden. Das Buch umfasst alle Bereiche und Problembereiche, mit denen Stationsleitungen konfrontiert werden können. Sogar die Regeln für Schriftverkehr, von denen man meinen sollte, dass sie Allgemeinbildung sind, wurden an einer Stelle durchaus sinnvoll eingefügt.

Vor allem Wolfgang Schäfer spürt der Leser ab, dass seine Artikel aus langjähriger Tätigkeit in der Pflege resultieren und er seine Erfahrungen im Stationsalltag gesammelt hat. Das Buch ist ein eindeutiges Votum für die Stationsleitung als Führungskraft; es werden keine pflegespezifischen oder medizinischen Probleme abgehandelt, sondern die Leitungstätigkeit und die damit verbundenen Aufgaben beschrieben werden.

Der Leitfaden ist gut gegliedert, hat ein übersichtliches und umfassendes Register und der Text ist durch Beispiele und "Merke" gut strukturiert. Thematisch ist der Aufbau folgerichtig vom Leitbild und unserem Verständnis von Pflege her (Pflegetheorien und Modelle) hinführend über Aufgabenbereiche und Mitarbeiterführung zum organisatorischen Rahmen.

Ich würde dieses Buch allen Stationsleitungen sowohl als einmalige Pflichtlektüre wie auch als Nachschlagewerk empfehlen.

Geschichte der Medizin und der Krankenpflege (Rezension)

Geschichte der Medizin und der Krankenpflege (Eduard Seidler, Karl-Heinz Leven)

Verlag W. Kohlhammer. Stuttgart, 2003, siebte, überarb. und erw. Aufl., 333 S., broschiert, 18,90 €. - ISBN 3-17-017624-2

Rezension von: Dr. Hubert kolling

Wenngleich die Krankenpflege unzweifelhaft eine tragende Säule unseres Gesundheitswesens darstellt, blieb ihre Geschichte - von einzelnen Ausnahmen abgesehen - bisher nur unzureichend erforscht. (Einen aktuellen Überblick zum gegenwärtigen Stand der Forschung bietet Christoph Schweikardt mit seinem Beitrag "Entwicklungen und Trends in der deutschen Krankenpflege-Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts", in: Medizinhistorisches Journal, 39 [2004], S. 197-218) Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) brachte das Krankenpflegegesetz von 1957 einen wichtigen Impuls für die Beschäftigung mit der Krankenpflegegeschichte im Rahmen der Krankenpflegeausbildung. In deren Folge entstand eine seither ununterbrochene Tradition von Standesgeschichten für den Berufskunde-Unterricht in Krankenpflegeschulen, unter denen der Freiburger Medizinhistoriker Eduard Seidler mit seinem Standardwerk "Geschichte der Pflege des kranken Menschen" herausragt. Das in erster Auflage 1966 vorgelegte Buch erschien seit 1993 in sechster Auflage als "Geschichte der Medizin und der Krankenpflege" und ist seit 2003 mit dem Koautor Karl-Heinz Leven, ebenfalls Medizinhistoriker aus Freiburg, in der siebten, überarbeiteten und erweiterten Auflage auf dem Markt. Der Veröffentlichung liegt das Leitmotiv zu Grunde, dass Medizin und Krankenpflege seit der Antike Teil eines gemeinsamen Heilplans seien. Das 19. Jahrhundert habe aber durch "patriarchalisches Geheimratsdenken in der Medizin", der "Konfrontation der Geschlechter" zwischen noch männlicher Medizin und weiblicher Krankenpflege, "Gehorsamsdenken der Armeekrankenpflege" und der "Übernahme einer säkularisierten Ordenshierarchie" in den großen Pflegeverbänden "jenen verhängnisvollen Graben" zwischen der Medizin und der Krankenpflege geschaffen, "der unübersehbar bis heute vorhanden ist" (S. 224).

Im Hinblick auf ihr Bemühen, eine "Geschichte der Medizin und der Krankenpflege" vorzulegen, verwahren sich im Vorwort ihrer auf den neuesten Stand gebrachten Auflage die beiden Autoren als "professionelle Medizinhistoriker und Ärzte" ausdrücklich gegen den Vorwurf einer einseitigen Darstellung. Die Idee, Medizin und Krankenpflege in ihren Entwicklungen zusammenzusehen, sei keine "harmonisierende", die Probleme eher zuschüttende Geschichtsbetrachtung, wie schon den früheren Auflagen vorgeworfen wurde, sondern der Versuch einer Konzentrierung auf die Inhalte des gemeinsamen Auftrages. Keine noch so differenzierte Professionalisierung beider Bereiche, keine Ausbildungsgesetze und keine Bestrebungen, aus beiden jeweils eigenständige Gesundheitsberufe werden zu lassen, könne darüber hinwegtäuschen, dass Pflege und Medizin den Patienten gemeinsam haben. Die sehr übersichtliche, mit 70 Schwarz-Weiß-Abbildungen illustrierte Darstellung gliedert sich - streng chronologisch gehalten - in die folgenden neun Teile: 1. Anfänge von Heilkunst und Pflege, 2. Frühe Hochkulturen, 3. Griechisch-römische Antike, 4. Frühes Christentum und Byzanz, 5. Das Mittelalter, 6. Humanismus und Aufklärung, 7. Das 19. Jahrhundert, 8. Das 20. Jahrhundert, 9. Aspekte der zweiten Jahrhunderthälfte. Der dabei stets nach Medizin- und Pflegegeschichte getrennten Fachdarstellung ist eine allgemeinhistorische Einführung in die jeweilige Epoche vorangestellt. Besonders erwähnenswert, da praktisch und hilfreich im Forschungsprozess, ist der Anhang des Buches, der neben einem zu den einzelnen Teilen nach Medizin und Pflege unterteilten Literaturverzeichnis, Personenregister und Sachregister auch Quellentexte (S. 271-301) enthält. Letztere können nicht nur zum weiteren Studium anregen, sondern auch sinnvoll im Unterricht zur Berufskunde eingesetzt werden.

In den letzten Jahren wurden von Historikerinnen und Historikern beider Disziplinen wichtige neue Befunde vorgelegt. Eduard Seidler und Karl-Heinz Leven konnten daher die neue Auflage intensiv überarbeiten und auf den neuesten Forschungsstand bringen; dies betrifft insbesondere die Darstellungen der griechisch-römischen Antike und des 20. Jahrhunderts.

Mit ihrem Buch wenden sich die Autoren weiterhin an Lernende und Lehrende in der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Ärzten und Pflegenden. "Es soll nicht nur zu einer vertieften Anamnese und einem besseren Gegenwartsverständnis beitragen, sondern auch zu einem verständnisvollen Miteinander. Die Gewichtung der Schwerpunkte - dies sei bewusst wiederholt - verfolgt nach wie vor das gleiche Ziel, Pflege und Medizin als nicht voneinander trennbare Elemente eines gemeinsamen Heilauftrages zu begreifen, den keiner ohne den anderen leisten kann."(S. 8) Der Sinn des Buches läge daher weniger im Erwerb von abfragbarem Wissen, sondern darin, aus der Geschichte heraus die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu bedenken.

Naturheilkunde und Medizinethik im Nationalsozialismus (Rezension)

Naturheilkunde und Medizinethik im Nationalsozialismus (Sievert, Lars Endrik)

Mabuse-Verlag. Frankfurt am Main 1996, 274 S., broschiert, 28,00 € -. ISBN 3-929106-28-0

Rezension von: Dr. Hubert Kolling

Lars Endrik Sievert hat in den Mittelpunkt seines Buches "Naturheilkunde und Medizinethik im Nationalsozialismus", dem eine Frankfurter medizinische Dissertation aus dem Jahre 1996 zugrunde liegt, die totalitären Wurzeln der Medizinethik im sogenannten Dritten Reich gestellt, soweit sie ihren Ursprung im naturheilkundlichen Kontext haben. Der Autor, nach dem Studium der Philosophie, Literaturgeschichte, Philologie und Humanmedizin seit 1990 niedergelassener Allgemeinmediziner (mit Schwerpunkt Naturheilverfahren), stellt hierbei anhand der Analyse von Texten führender Vertreter der Naturheilkunde im Hinblick auf ihren medizinethischen Gehalt den "nationalsozialistischen Umbruch" von der traditionellen Medizinethik zur unmenschlichen NS-Ethik dar, wobei er folgende Fragen zu beantworten versucht: Haben die Protagonisten der "Neuen Deutschen Heilkunde" nur konsequent die medizinethischen Gedanken weitergedacht, die insbesondere im naturheilkundlichen Kontext entwickelt wurden? Wie konnte es zu der tragischen Situation kommen, dass gerade die Naturheilbewegung in Deutschland, die für das Wohl der Menschen angetreten war, zu einem wesentlichen Element der menschenverachtenden "Neuen Deutschen Heilkunde" wurde? Wo sind die Denkfehler der Nationalsozialisten? Wie konnte aus humanistischen Quellen der Holocaust ethisch begründet werden? Ist die totalitäre Denkstruktur bereits bei den humanistischen Quellen zu finden? Wo ist die Bruchstelle, an der die medizinische Ethik "unmenschlich" wird.

Die Untersuchung gliedert sich in drei große Kapitel. Nach einer ausführlichen Einleitung (S. 13-28), in der Sievert - für den es gilt, "die grundlegenden Denkfehler von damals aufzudecken" (S. 10) - Betrachtungen zur hermeneutischen Methode, zum Begriff Naturheilkunde und zum Begriff der medizinischen Ethik anstellt, dokumentiert das zweite Kapitel (S. 29-120) "Wichtige Quellen der medizinischen Ethik und Naturheilkunde im Dritten Reich". Unterteilt in die Epochen Prähistorie, Altertum, Mittelalter und Frühe Neuzeit, 18. und 19. Jahrhundert sowie 20. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Republik gelingt es dem Autor, die Ansprüche einer naturheilkundlichen Tradition aufzuzeigen und jene Ansatzpunkte zu verdeutlichen, die später in das nationalsozialistische Denken einflossen.

Im dritten Kapitel (S. 121-239), das sozusagen das Herzstück der Arbeit bildet, analysiert Sievert schließlich die medizinische Ethik und Naturheilkunde im ´Dritten Reich´. Zunächst betrachtet er hierbei die "Krise der Medizin" in der Weimarer Republik, die mit einem Vertrauensschwund in die Ärzteschaft einherging und Kritiker des damaligen Gesundheitssystems wie Erwin Liek auf den Plan riefen. Wie der Autor zeigt, tauchte der Begriff "Neue Deutsche Heilkunde" erstmals 1929 in lebensreformerischen Kreisen auf, die eine Synthese von "Schulmedizin" und Außenseitermethoden anstrebten. Bei der anschließenden, ausführlichen Betrachtung von Konzept und Wandel der "Neuen Deutschen Heilkunde" weist Sievert ausdrücklich darauf hin, dass die oft verbreitete - wenn auch nicht unwidersprochene - These, dass die wesentlichen Aspekte der NS-Medizin Ausdruck und Konsequenz rationalistischer, materialistischer, technizistischer, naturwissenschaftlicher Tendenzen in der Medizin gewesen seien, zu kurz greife, weil sie "das große Feld der praktischen, alltäglichen Medizin in diesem Diskussionszusammenhang wenig beachtet" (S. 135). Seines Erachtens wurden bei der These, die sich vor allem auf das Material des Nürnberger Ärzteprozesses, auf die nationalsozialistische Rassenlehre und ihr Sozialdarwinismus und -biologismus stütze, "die irrationalen, antitechnischen, volks- und naturheilkundlichen Elemente der NS-Medizin [...] nicht angemessen berücksichtigt" (S. 135). So sei die Naturheilkunde "nicht nur wegen persönlicher Vorlieben der Naziführer Hitler, Streicher, Himmler oder Heß zu einem wesentlichen Bestandteil nationalsozialistischer Ideologie" geworden, "sondern vor allem wegen ihrer Funktionalität im Rahmen der vorherrschenden ökonomischen Interessen" (S. 149). Hierzu hält der Autor fest: "Der Patient wurde oft zum Schuldigen an seiner Krankheit und konnte entsprechend härter angefasst werden. Konsumverzicht und Askese, Verzicht auf Fleischkonsum, Anwendung billiger Therapieverfahren (z.B. Fasten, heimische Heilkräuter, Licht- und Luftbäder, Gymnastik) machten die Naturheilkunde zu einer billigen Therapie" (S. 149).

In diesem Zusammenhang schildert Sivert in einem besonderen Abschnitt auch eindrucksvoll, welche Rolle die damals führenden Medizinhistoriker (Diepgen, Rothschu, Sticker) spielten. Ferner zeigt er am Beispiel des Schriftstellers und Arztes Friedrich Wolf, dass es unter den Ärzten auch Naturheilkundler gab, die - wenn auch um den hohen Preis der erzwungenen Emigration - in Opposition zum NS-Staat standen.

Wenngleich die Nationalsozialisten selbst "keine geschlossene NS-Medizinethik" (S. 238) formulierten, genügten Ihnen einzelne Fragmente zur Rechtfertigung von brutalen Morden. Wie die Untersuchung des Autors zeigt, wurde von den Vertretern der "Neuen Deutschen Heilkunde" und der Mehrzahl der naturkundlich orientierten Vertretern der Ärzteschaft eine Medizinethik vertreten, "die als ´unmenschlich´ bezeichnet werden muss" (S. 238). Wie die Analyse von Sievert belegt, waren sich die Protagonisten der "Neuen Deutschen Heilkunde" - trotz der Meinungsvielfalt zu einigen Themen - in wesentlichen medizinethischen Fragen einig. Sie legten ihren Abhandlungen eine Medizinethik zugrunde, bei der der einzelne Mensch "seinen Wert als ´Mensch an sich´" (S. 238) verlor. Nach Ansicht des Autors lässt sie sich folgendermaßen charakterisieren:
"1. Das Individuum ist nicht um seiner selbst willen zu erhalten, sondern nur als Teil des ´Volkskörpers´ erhaltenswert: ´Gemeinnutz geht vor Eigennutz´. 2. Krankheit wird oft als selbstverschuldet angesehen und verdient kein Mitleid. Gesellschaftliche Ursachen werden ausgeblendet. 3. Das Recht auf Krankheit wandelt sich zur ´Gesundheitspflicht´. 4. Der Gesundheitsbegriff wird mit maximaler Leistungsfähigkeit gleichgesetzt. Das Lindern von Leid des Kranken verliert seinen Stellenwert. 5. Der ´politische Arzt´ wird gefordert, der die NS-Ideologie vertritt. Der humanistische, überparteiliche Standpunkt des Arztes wird aufgegeben. 6. Der Naturbegriff bekommt eine sozialdarwinistische, rassistische, antisemitische, totalitäre, sexistische und chauvinistische Tönung. 7. ´Vorsorge´ wird gegenüber der ´Fürsorge´ favorisiert" (S. 238).

Sievert bleibt nicht nur auf der medizinhistorischen Ebene stehen, indem er in einem "Ausblick" (S. 241-250) versucht, seine Forschungsergebnisse mit der Gegenwart zu konfrontieren. Obwohl sich die Frage nach der Kontinuität des nationalsozialistischen Gedankenguts und seiner Bedeutung für die aktuelle medizinethische Diskussion seiner Ansicht nach nur schwer beantworten lässt, leitet er aus seiner Analyse einige Richtlinien einer zukünftigen humanen medizinischen Ethik im naturheilkundlichen Kontext ab, wobei er Gedanken der "Hilfe zur Selbsthilfe" und der "Herrschaftsminderung" zugrunde legt. Der Autor legt nicht nur die Regeln seiner eigenen Praxis dar (S. 244-245); er spricht sich auch dafür aus, dass gesetzliche Regelungen, die zum Beispiel "Risikobeiträge" für rauchende oder adipöse Menschen erlauben, "auf dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrung aus der NS-Medizin unterbleiben" (S. 248).

Ergänzt wird die kenntnisreiche Abhandlung durch eine Zusammenfassung (S. 251), ein Literaturverzeichnis (S. 253-274) und ein - leider nicht ganz vollständig erfasstes - Namenverzeichnis (S. 275-277). Lars Endrik Sievert hat mit seiner Untersuchung nicht nur die medizinische Diskussion von bedeutenden Naturheilkundlern in ihrer zeitgeschichtlichen Bedingtheit dokumentiert, sondern auch die Entwicklung und Wandlung von Einstellungen und moralischen Werten deutlich gemacht. Sein die besagte Materie tief durchdringendes Buch ist für alle von Bedeutung, die sich für medizinhistorische Fragen interessieren oder in der heute breit geführten Diskussion um medizinethische Fragen mitreden möchten.