Die Geschichte der Krankenpflege (1679-2000) |
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Die Geschichte der Krankenpflege zu kennen, ist zweifelsfrei notwendig, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft planen zu können. Dabei ist - im Gegensatz etwa zur Medizin - die Geschichte der Krankenpflege als Beruf noch nicht geschrieben worden. Dazu bedarf es umfassender Forschungen, die die Pflegewissenschaft erst noch leisten muss. Die von Birgit Panke-Kochinke vorgelegte Quellensammlung zur Geschichte und Gegenwart der Krankenpflege versteht sich als ein Beitrag zur Entwicklung beruflicher Identität. Das Buch schließt eine seit langem beklagte Lücke in den pflegehistorischen Veröffentlichungen, indem es seinen Benutzerinnen und Benutzern ermöglicht, sich mit Auszügen aus historischen Primärquellen auseinander zu setzen. Nachdem die Autorin, Gymnasiallehrerin sowie promovierte und habilitierte Soziologin und Historikerin kürzlich bereits eine "Fachdidaktik der Berufskunde Pflege" (Bern 2000) vorgelegt hat, ist die Veröffentlichung dieses "Lesebuchs" eine konsequente Weiterführung ihrer Arbeit. Allerdings liefert der Band keine fertigen Unterrichtsentwürfe für das Fach Berufskunde, sondern bietet für den Unterricht aufbereitetes Quellenmaterial, das unter bestimmten Fragestellungen - zum Beispiel: woher kommt die Quelle? Welchen Informationswert hat sie? Wie authentisch ist sie? Zu welcher Quellengattung gehört sie? Wer hat den Text verfasst? An wen ist er gerichtet? Welche Interessen verfolgte der Quellenschreiber? Was ist die ´innere Wahrheit´ des Textes? - analysiert werden kann. Der gewählte Interpretationsrahmen, der sich in der begründeten Zusammenstellung und in den Kommentaren erkennen lässt, verweist auf ein tragfähiges Konzept historischer Forschung, das zugleich einen sinnvollen Zugriff auf die Vermittlungsmöglichkeiten im Unterricht zulässt. Dabei fragt Birgit Panke-Kochinke nicht nur nach den übergreifenden Strukturen der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eines Systemzusammenhanges, sondern auch nach den spezifischen Erfahrungen, die Menschen innerhalb dieser Systeme gemacht haben und noch machen: Insofern bestimmen nicht allein die Verhältnisse das Handeln der Menschen, sondern die Menschen sind auch selbst Träger der Systeme und gestalten diese Verhältnisse mit. "Nur in diesem Zugriff auf die Geschichte, in dem Blick von unten und von oben, werden die Ambivalenzen von Theorie und Praxis, Denken und Handeln, Ereignis und Struktur, Prozess und Entwicklung erkennbar, lassen sie sich in ihrer Spannung erfassen, begreifen und kritisieren" (S. 15).
Der Band gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil widmet sich einer quellenkritischen Analyse der Krankenpflege, wobei die Autorin auf die Verberuflichung der Krankenpflege und die Krankenpflege als Beruf eingeht. Hierbei verweist sie auf insgesamt 19 "Strukturlinien", die sich als Themenschwerpunkte aus der Analyse der Quellen und dem Erkenntnisinteresse ergaben und zur Auswahl der Quellen herangezogen wurden. Diese Themenschwerpunkte reichen von dem Anforderungsprofil an Pflegende, der Diskussion des präferierten Geschlechts über Krankenpflege im Krieg, den Grenzen zwischen ärztlicher Behandlung und Krankenwartung, dem Handlungsmodell der Barmherzigkeit bis zur patientenorientierten Pflege, der Pflegeplanung und dem Selbstverständnis der Krankenpflege. Die von Birgit Panke-Kochinke ausgewählten Materialien basieren auf fünf Überlegungen: dem Prinzip des Exemplarischen; Strukturierung und Auswahl der Quellen entsprechend des vorgestellten eigenen Blickwinkels; Knotenpunkte von Umbrüchen aufzuzeigen; Überprüfung der Quelle auf dem zeitgenössischen Hintergrund; Rekonstruktion des Entstehungszusammenhangs.
Der zweite Teil des Buches, sein Herzstück sozusagen, bildet die Quellensammlung. Den einzelnen Quellen vorangestellt ist jeweils ein Abschnitt zur Quellenanalyse. Insgesamt werden 84 Quellen - wie Briefe, Vorträge, Gedichte, Artikel, Lehrbücher - in Auszügen vorgestellt und kommentiert. Neben Anmerkungen zu den Quellen werden Verweise auf alternative und ergänzende Quellen, Sekundärliteratur und Zusatzinformationen aufgeführt, die nicht zuletzt für die Unterrichtsvorbereitung eine wertvolle Unterstützung darstellen.
Nun, wie ist der Band zu bewerten? Insgesamt betrachtet ist die Auswahl der Quellen ausgewogen. Sinnvoll wäre es freilich gewesen, den einen oder anderen Themenbereich etwas ausführlicher darzustellen. So werden etwa die Organisationsform des Mutterhauses und die Berufskonstruktion durch Theodor Fliedner (1800-1865) trotz ihrer hohen Bedeutung auf die Berufsentwicklung nur ansatzweise berücksichtigt, ebenso wie die Bedeutung von Agnes Karll (1868-1927) auf die Gestaltung der freiberuflichen Krankenpflege und deren berufsethische Ausrichtung. Wünschenswert wäre auch eine Berücksichtigung der sich verschärfenden Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Strömungen in der freiberuflichen Pflege um die Verberuflichung der Pflege in der Weimarer Republik gewesen sowie - bei der Artikelauswahl der letzten zwanzig Jahre - die Aufnahme eines Beitrages von Hilde Steppe (1947-1999) zur Professionalisierung oder zum Pflegeprozess.
Trotz dieser Einschränkungen, die für eine Neuauflage eine sinnvolle Ergänzung wären, lässt sich der Band als notwendige Ergänzung zu den bereits erschienenen Überblicksdarstellungen zur Geschichte der Krankenpflege im berufskundlichen Unterricht sehr gut nutzten und sollte deshalb in keiner Ausbildungseinrichtung für Pflegeberufe fehlen. Lehrende wie Studierende der Krankenpflege werden es allemal gewinnbringend zur Hand nehmen.