Helfersyndrom und Burnout-Gefahr (Schmidbauer, Wolfgang)Urban&Fischer, München, 2002, 146 S., 17. Abb., 19,95 € - ISBN 3-437-26940-2Rezension von: Paul-Werner Schreiner |
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Der Begriff "Helfersyndrom" wurde 1977 von dem Verfasser des vorliegenden Buches kreiert. Seither erfreut sich dieser Begriff großer Beliebtheit - auch und gerade bei Angehörigen der Pflegeberufe. Dabei machen Supervisoren, Leiter von Balintgruppen oder Fortbildungsdozenten die Erfahrung, dass dieser Begriff inflationär und nicht immer ganz sachgerecht verwendet wird. Dies - so der Autor im Vorwort - war der Anstoß, das Thema erneut aufzugreifen. In acht Kapiteln zeigt der Autor an vielfältigen Beispielen aus verschiedenen Praxisbereichen, wobei die Psychiatrie besonders stark vertreten ist, Situationen auf, in denen Angehörige helfender Berufe - und hier im besonderen der Pflegeberufe - starken Belastungen ausgesetzt sind, wie diese damit umgehen, u.a. auch verdrängend, und was solchen Haltungen resultieren kann für den Einzelnen, für Teams und schließlich für Institutionen. Belastungen resultieren zu einem wesentlichen Teil aus Erwartungen, die die Betroffenen an sich selbst stellen oder die von außen an sie herangetragen werden. In einem Kapitel reflektiert der Autor noch einmal die Entstehung des Begriffes "Helfersyndrom" sowie seine 25 Jahre Wirkgeschichte. Als Ursachen für Belastungen werden die Situation des Gesundheitswesens diskutiert sowie die Bedingungen in den Institutionen, wobei der Frage der Führung besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ein eigenes Kapitel ist dem Problem des Mobbings gewidmet.
In einem separaten Kapitel werden Entscheidungshilfen für Supervision, Coaching und Psychotherapie angeboten und vorgestellt. Das Schlusskapitel ist überschrieben mit "Entschleunigung als Qualitätsmerkmal". Das Leben - so der Autor - hat sein eigenes Tempo, das sich auch nicht wirklich beschleunigen lässt. Statt von "Schnelllebigkeit" sei es eher angemessen, von "Schnellsterbigkeit" in unserer Zeit zu sprechen. Die Probleme der Pflege hingen mit zentralen Schwierigkeiten des Lebens in der technisch hoch entwickelten und an Konsumidealen orientierten Gesellschaft zusammen; Pflege koste Zeit, wenn sie gut gemacht werden soll, sie lässt sich nicht in messbare Schritte aufteilen, sie erfordert Achtsamkeit. Abschließend zeigt Schmidbauer noch - allerdings sehr verkürzt - Bausteine zur lernenden Organisation auf.
Wie schon das Buch "Die hilflosen Helfer" ist auch das vorliegende, das die Situation der Pflegeberufe fokussiert, hilfreich, um Belastungsphänomene bei Pflegenden und daraus resultierende Konflikte besser verstehen. Es kann so einen Beitrag dazu leisten, die Zufriedenheit in den Pflegeberufen zu steigern.
Gleichwohl sind einige kritische Anmerkungen zu machen:
- Der Autor strapaziert eingangs wieder die hohe und frühzeitige Fluktuation aus dem Beruf als Indiz für die hohe emotionale Belastung in den Pflegeberufen. Dieses Argument ist ebenso wenig empirisch überprüft wie es beliebt und alt ist - und es ist sehr beliebt und noch älter. Interessant wäre doch einmal zu überprüfen, ob die Fluktuationsrate bei weiblichen und männlichen Angehörigen der Pflegeberufe gleich hoch ist, und es wäre einmal der Vergleich mit der Fluktuationsrate bei Kindergärtnerinnen und Grundschullehrerinnen erhellend. Könnte es nicht sein, dass die hohe Fluktuation schlicht etwas damit zu tun hat, dass die Pflegeberufe ganz überwiegend Frauenberufe sind, und so Folge der Tatsache ist, dass im besonderen Deutschland ein extrem frauenarbeitsfeindliches Land ist? Weiter wäre zu fragen, ob sich die Quote der Absolventen der Krankenpflegeausbildung, die nach der Ausbildung feststellen, dass sie sich mit ihrer Berufswahl einfach geirrt haben, wirklich signifikant von der zum Beispiel im Bäcker- und Metzgerhandwerk unterscheidet. Könnte es nicht sein, dass die Fluktuation in den Pflegeberufen vor allem deshalb so ins Auge fällt, weil die Gesellschaft nicht bereit ist, Krankenpflege als einen normalen Beruf anzusehen, bzw. es bislang offenkundig nicht gelungen ist, die Vorstellung, dass der Pflegeberuf eine zölibatäre Veranstaltung ist, nachhaltig zu eliminieren?
- Schmidbauer spricht immer wieder von dem Pflegeberuf als einer Profession. Dies ist problematisch und irreführend. Gemäß den gängigen Professionalisierungstheorien kann man zeigen, dass Pflegeberufen nämlich gerade wesentliche Elemente nicht eigen sind, die eine Profession ausmachen. Würde man diesen Aspekt weiter verfolgen, könnte man aufzeigen, wie sehr destruktive Belastung einfach durch die institutionelle Verortung der Pflege in dem Konzert der Gesundheitsberufe und damit verbunden in den Institutionen entsteht. Und hier hilft dann auch weder Supervision noch eine Balintgruppe, sondern nur einfach Veränderung.
- Der Autor erläutert, was unter Burnout zu verstehen ist. Leider stellt er, wie dies vielfach in der deutschen Beschäftigung mit dem Phänomen Burnout geschieht, nicht in gebührender Weise heraus, was zu der physischen und psychischen Erschöpfung vermutlich hinzukommen muss, damit es zum Burnout kommt, nämlich dass die Tätigkeit, die zur Erschöpfung führt, sinnentleert ist. Dies bedenkend, könnte man zeigen, dass es in vielen Situationen nicht die viele Arbeit ist, die Pflegende ausbrennen lässt, sondern vielmehr die Unmöglichkeit, in dem von ihnen geforderten Handeln einen Sinn zu sehen.