Gesund und krank im Mittelalter<BR>Marburger Beiträge zur Kulturgeschichte der Medizin (Rezension)

Gesund und krank im Mittelalter
Marburger Beiträge zur Kulturgeschichte der Medizin (Meyer, Andreas und Jürgen Schulz-Grobert (Hrsg.) )

Eudora-Verlag Leipzig Ralf C. Müller. Leipzig 2007, 373 Seiten, fester Einband, 34,90 €, ISBN 978-3-938533-11-6

Rezension von: Dr. Hubert Kolling

Der Zustand des körperlichen Befindens dürfte wohl zu allen Zeiten Menschen beschäftigt haben. Während man früher Gesundsein genauso wie heute als selbstverständlich betrachtete und daher kaum thematisierte, existieren über das Kranksein als grundlegende menschliche Erfahrung nicht nur unterschiedliche Sachzeugnisse, wie Bilder von Kranken oder von Krankheiten, Hospital-Bauten, Friedhöfen usw., sondern auch eine Vielzahl literarischer Texte und historischer Dokumente etwa zu Institutionen der Krankenpflege, zu Ärzten und zur Pharmazie. Dabei war der gesellschaftliche Umgang mit Gesundheit und Krankheit in den verschiedenen Epochen sehr unterschiedlich, wie das vorliegende Buch „Gesund und krank im Mittelalter“ eindrucksvoll zeigt. Der von Andreas Meyer und Jürgen Schulz-Grobert herausgegebene Sammelband versammelt die Referate, die am 25. und 26. Februar 2005 auf der 3. Tagung der Arbeitsgruppe „Marburger Mittelalter-Zentrum“ (MMZ) gehalten worden sind. Bei dieser Einrichtung handelt es sich um einen freiwilligen Zusammenschluss all jener, die sich in Marburg, an der Philipps-Universität oder außerhalb, mit Mediävistik im weitesten Sinne beschäftigen. Das MMZ versteht sich, wie die Herausgeber in ihrem Vorwort schreiben, als interdisziplinäres Kompetenzzentrum und will nicht nur die Zusammenarbeit der Betroffenen vor Ort fördern, sondern auch mit öffentlichen Tagungen zur Verbreitung von Forschungsresultaten beitragen.

Das Spektrum der versammelten, insgesamt 14 Beiträge ist breit gestreut. Zunächst stellt Thomas Gloning „Deutsche Kräuterbücher des 12. bis 18. Jahrhunderts“ vor, wobei er insbesondere charakteristische sprachliche Eigenschaften von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kräuterbüchern herausarbeitet. Hierbei fragt der Autor nach dem Textaufbau und der Schematisierung von Darstellungsmustern für Pflanzenmonographien ebenso nach wie nach dem Wortschatzprofil der Kräuterbücher und nach einzelnen Teilaspekten des Wortgebrauchs. Das Interesse an den gesundheitlichen Eigenschaften von Pflanzen bezog sich, wie Thomas Gloning zeigt, zum einen auf ihre Heilkräfte, zum anderen auch auf ihre gesundheitlichen Wirkungen etwa im Rahmen der Ernährung. Im System der alten Medizin waren Pflanzen, so der Autor, damit Bestandteil des Heilmittelschatzes (materia medica) und Bestandteil der Diätetik, verstanden als umfassende Lebens- und Gesundheitslehre (regimen sanitatis).

Das Schreiben über Körper, Krankheit und Heilung begann im Althochdeutschen mit Rezepten, Zaubersprüchen, Glossen zu lateinischen medizinischen Schriften sowie Körperteil- und Pflanzenglossaren. Das mittelalterliche sprachliche Wissen über den menschlichen Körper, seine Krankheiten und seine Heilung rekonstruiert Jörg Riecke unter der Überschrift „Beiträge zum mittelalterlichen deutschen Wortschatz der Heilkunde“. Mit der Untersuchung von Texten medizinischen Inhalts in einer linguistischen Perspektive zielt er zugleich auf die Frage ab, mit welchen Mitteln das vorhandene medizinische Wissen versprachlicht wurde.

Jürgen Wolf stellt in seinem Beitrag das traditionsreiche Handschriften-Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften als Schatzkammer der medizin- und naturhistorischen Forschung vor. Hierbei erklärt er zunächst, warum das besagte Archiv künftig eine wichtige Rolle spielen könnte, stellt sodann einige Handschriftenbeschreibungen aus dem Archiv exemplarisch vor, führt in die Nutzung des Handschriftenarchivs ein und gibt schließlich eine Gesamtübersicht der bisher digitalisierten medizinisch-naturkundlichen Handschriften.

Während die Beiträge von Horst Wolfgang Böhme („Krankheit, Heilung und früher Tod zu Beginn des Mittelalters“) und Esther Meier („Die heilende Kraft des Angesichts Christ. Leprakranke und das Schweißtuch der Veronika“) sich aus der Perspektive der Archäologie und Kunstgeschichte mit dem Thema Lepra beschäftigen, schlagen sie eine Brücke zu den von Andreas Meyer erschlossenen Lepragutachten („Lepra und Lepragutachten aus dem Lucca des 13. Jahrhunderts“). Ines Heiser setzt sich unterdessen unter der Überschrift „Dô Alexander genas“ mit der Krankheit Alexander des Großen im mittelhochdeutschen Alexanderroman auseinander, wohingegen Jürgen Schulz-Grobert in seinem Beitrag „Komische Krankheiten und gesunde Komik“ Beispiele der Medizinsatire in der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit aufzeigt.

Eine ebenso spannende wie ertragreiche Bereicherung der Pharmaziegeschichte liefern die Beiträge von Francesco Roberg („Das Antidotarium Nicolai und der Liber Antidotarius magnus“) und Peter Dilg („Severin und sein Laboratorium, Kräuter und Gifte in Umberto Ecos Roman ‚Der Name der Rose’“). Spätmittelalter und Frühe Neuzeit kommen bei Antje Ziemann („Zwischen Sterbewache und Bestattung – Leichenwäsche in venezianischen Bruderschaften des Spätmittelalters“) und Gerhard Aumüller („Ärztliche Versorgung in der Gründungsphase der Hessischen Hohen Hospitäler – Die Rolle der Leibärzte“) in den Blick, wobei Letzterer den deutlichsten Bezug zu Marburg entwickelt. Eine Analyse moderner und postmoderner Erzähltraditionen liefern schließlich Urte Helduser („Zwischen Theologie und Teratologie. Bilder des ‚monströsen Mittelalters’ von der Romantik zur Populärkultur“) und Anja Hill-Zenk („Der Medicus & Co.: Ärzte, Bader, Heiler und eine Apothekerin in zeitgenössischen historischen Romanen“).

Insgesamt liefert der Band auf hohem wissenschaftlichem Niveau ein fassettenreiches Bild über den Umgang mit Gesundheit und Krankheit im Mittelalter und Früher Neuzeit. Die einzelnen Beiträge betrachten das Thema dabei hauptsächlich unter medizin- und pharmaziehistorischen Gesichtspunkten, wohingegen die Krankenpflege keinerlei Erwähnung findet.