Professionelle Pflegeberatung und Gesundheitsförderung für chronisch Kranke (Rezension)

Professionelle Pflegeberatung und Gesundheitsförderung für chronisch Kranke (Hüper, Christa und Barbara Hellige )

Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2007, 15,90 Euro, ISBN-13: 978-3938304716

Rezension von: Prof. Dr. Uta Oelke

Zielsetzung des von Christa Hüper und Barbara Hellige verfassten Buchs „Professionelle Pflegeberatung und Gesundheitsförderung für chronisch Kranke“ (2007) ist es, zur „Entwicklung des pflegerischen Beratungswissens und einer kooperativen Beratungshaltung“ beizutragen (ebd., S. 9). Hierzu werden zunächst die Rahmenbedingungen der Pflegeberatung aufgezeigt und anschließend ihre theoretischen Grundlagen vorgestellt. Danach folgen Ausführungen zur Umsetzung der Beratung im Pflegeprozess, zum Beratungsassessment und zur Beratungsbeziehung. Zum Schluss wird ein Ausblick auf zukünftige Forschungs- und Entwicklungserfordernisse gegeben. Geschrieben ist das Buch vorrangig für Studierende und Lehrende der Gesundheits- und Pflegestudiengänge.

Im ersten Kapitel „Rahmenbedingungen der Pflegeberatung“ wird herausgearbeitet, dass und inwiefern es überhaupt einen Bedarf an Beratung in der pflegerischen Versorgung gibt. Hierbei wird sowohl auf Befragungen und „Runde-Tisch-Ergebnisse“ von Pflegeexperten/-innen zurückgegriffen wie auch mit aktuellen gesundheitspolitischen und rechtlichen Entwicklungen argumentiert. In einem weiteren Abschnitt wird die Beratung im Kontext pflegerischer Qualitätssicherung beleuchtet und dabei im Einzelnen auf ihre Bedeutung im Rahmen des Pflegeprozesses und der Expertenstandards eingegangen.

Im zweiten Kapitel stellen die Autorinnen die von ihnen ausgewählten theoretischen „Grundlagen und Konzepte professioneller Pflegeberatung“ vor: das Modell der Pflege- und Krankheitsverlaufskurve von Corbin/Strauss (2004), das salutogenetische Modell von Antonovsky (1997) und das integrative Beratungsmodell von Sander (1999). Die sehr gelungene Zusammenstellung dieses theoretischen Referenzrahmens macht auf beeindruckende Art und Weise deutlich, welche hohen und vielfältigen Herausforderungen sich für die pflegerische Beratung chronisch kranker Menschen ergeben: Einerseits gilt es, die von den Erkrankten und ihren Angehörigen erbrachte Krankheitsbewältigungsarbeit zu erkennen, zu akzeptieren und in die Beratung zu integrieren. Andererseits müssen die Professionellen immer wieder mit dem für die Betroffenen typischen Phänomen der „Unsicherheit“ klar kommen. Im Blick auf das konkrete Beratungshandeln kommt den Professionellen zum einen die Aufgabe zu, dieses in seinen Zielen, Inhalten und Methoden auf die unterschiedlichen Phasen des chronischen Krankheitsverlaufs zu beziehen und dabei die Dimensionen der Krankheits-, Biografie- und Alltagsarbeit zu berücksichtigen. Zum zweiten müssen sie differenzieren können, ob sich ihr Beratungsangebot auf Probleme bzw. Ressourcen beziehen soll, die eher die Person, die Beziehungen oder die Lebenswelt des Beratenen betreffen und mit welchen Strategien (z. B. Informieren, Klären, Übungen anwenden) sie auf die jeweils eruierten Beratungserfordernisse reagieren wollen. Bei allem gilt es, den Gedanken der Gesundheitsförderung nicht aus den Augen zu verlieren, das heißt, die Erkrankten und ihre Angehörigen in ihrem Kohärenzgefühl sowie ihren Selbstmanagementfähigkeiten zu stärken und sie dabei zu unterstützen, Möglichkeiten der Entspannung und Erholung soweit wie möglich in den Lebensalltag zu integrieren.

Das dritte Kapitel „Beratung im Pflegeprozess“ dient als „praxistaugliche Veranschaulichung“ (ebd., S. 11) der im zweiten Kapitel formulierten theoretischen Anforderungen. Die dort dargelegten Prinzipien werden hier nun anhand eines Fallbeispiels verdeutlicht bzw. „heruntergebrochen“ und um konkretisierende Umsetzungsempfehlungen ergänzt. Der Anspruch der Autorinnen, die Leser/innen mit diesem Abschnitt zum Beraten zu ermutigen bzw. ihnen aufzuzeigen, dass sie diese Tätigkeit teilweise bereits praktizieren, ist plausibel und sehr gut eingelöst.

Das vierte Kapitel „Assessment: Beratungsprobleme erkennen und einschätzen“ konzentriert sich auf einen zentralen Aspekt pflegerischer Beratung: die Erfassung und Einschätzung des Beratungsbedarfs. Sehr deutlich stellen die Autorinnen heraus, dass es ihnen hierbei nicht um ein kategoriales Abfragen oder technisches Befunde-Erheben etwa im Sinne medizinischer Diagnostik geht. Vielmehr stehen eher „weiche“ Vorgehensweisen im Vordergrund: das (aktive) Zuhören der Beraterin in „gleichschwebender Aufmerksamkeit“ (ebd., S. 115); eine Gesprächshaltung, die es dem Gegenüber ermöglicht, einfach (seine Geschichten) zu erzählen; oder das Fragen „um’s Eck“ (ebd., S. 117 ff.). Diese Vorgehensweisen werden sowohl begründet als auch mit konkreten Umsetzungshinweisen versehen. Anschließend werden sie in Beziehung zu den Essentials des zweiten Kapitels gesetzt, und anhand zweier Fallbeispiele wird aufgezeigt, wie ein sinnvoll aufeinander abgestimmtes Beratungs-Assessment aussehen könnte. Etwas problematisch ist, dass in diesem Kapitel nochmals eine neue theoretische Dimension eingeführt wird: Die – sehr interessanten – Ausführungen zur systemischen Familientherapie hätten besser in das zweite Kapitel gepasst.

Das fünfte Kapitel ist der „Beratungsbeziehung in der kooperativen Pflegeberatung“ gewidmet. Hier wird herausgearbeitet, welche Merkmale professionellen Handelns Pflegeberatung aufzeigt und welche Bedeutung ihnen in der Beratungsbeziehung zukommt. Als diesbezüglich elementar werden genannt:

  • a) die Fähigkeit der Professionellen, einerseits (analytisch) erklären und andererseits (empathisch) verstehen zu können
  • b) ihr Vermögen, die Beratungssituation als diffus und nicht standardisiert auszuhalten und sie gleichzeitig spezifisch zu gestalten
  • c) ihre Bereitschaft, eine sowohl durch Symmetrie als auch Asymmetrie geprägte Beziehung aufrecht zu erhalten
  • sowie d) ihre Kompetenz, sowohl Nähe herzustellen als auch Distanz zu bewahren.
Darüber hinaus sind „das Fallverstehen“ und eine „empowernde“ Beratungshaltung weitere zentrale Komponenten der Beratungsbeziehung. Insgesamt enthält das fünfte Kapitel viele interessante Informationen, die teilweise über die Fragen der Beziehungsgestaltung hinausgehen. Etwas bedauerlich ist, dass die kritische Beleuchtung der Frage, ob und wie ein Mensch die hohen, oft bipolaren Professionsanforderungen einlösen kann, ohne sich selbst zu überfordern, weitgehend ausgeklammert bleibt.

Insgesamt haben die Autorinnen Christa Hüper und Barbara Hellige mit ihrem Buch enorme Pionierinnenarbeit geleistet. Sie geben eine Vielzahl von Impulsen, die dazu verhelfen, pflegerisches Beratungshandeln theoretisch zu fundieren und es systematisch anzugehen. Besonders bemerkenswert sind die von ihnen dargestellten unterschiedlichen Anspruchsniveaus, die es ermöglichen, Beratungshandeln „kleinschrittig“ zu realisieren – vom weniger komplexen Beraten im Rahmen des Pflegeprozesses bis hin zum ausgefeilten Assessment. Dies erhöht die Chancen, dass sich die Pflegenden dieses Themas tatsächlich annehmen (können) und es – in mittelfristiger Zukunft – zu einer ausgewiesenen und anerkannten pflegerischen Leistung werden lassen.

Das Buch stellt einen längst überfälligen, ausgezeichnet gelungenen Beitrag zur Professionalisierung der Pflege dar. Ihm ist eine weite Verbreitung zu wünschen, die sich letztlich darin äußert, dass sie über die Regale der Hochschulbibliotheken hinaus dort ankommen, wo sie Wirkung entfalten sollen: in der Pflegepraxis.