EXECUTIVE SUMMARY ZU “COMMUNITY HEALTH NURSING IN DEUTSCHLAND”
Angesichts der demographischen und epidemiologischen Entwicklungen in Deutschland, verbunden mit den versorgungsstrukturellen und ökonomischen Veränderungen ergeben sich neue Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung. Es gilt neue, passgenaue Versorgungsangebote zu entwickeln. Angesichts der bestehenden Unter- und Überversorgung (SVR, 2014) gibt es in Deutschland seit längerem Debatten zur Stärkung der Primärversorgung. Sie stellt im ambulanten Geschehen die zentrale Eintrittspforte ins Gesundheitswesen dar.
Laut Sachverständigenrat (SVR, 2014) ist ein niedrigschwelliger Zugang zu den Leistungen des Gesundheitswesens entscheidend für die Inanspruchnahme und Bedarfsgerechtigkeit eines Systems. Das ist besonders für vulnerable Gruppen (dazu gehören auch ältere Menschen) und für Bevölkerungsgruppen in strukturschwachen (ländlichen) Regionen bedeutsam. Die Primärversorgung muss auf dem Land, aber auch in städtisch geprägten benachteiligten Gebieten effizient und bedarfsgerecht gesichert werden. Gute Erreichbarkeit, integrierte Versorgungsangebote, ein breites Versorgungsspektrum bei hoher Qualität sind zentrale Ziele. Dadurch wird ein Verbleib in der Häuslichkeit auch bei beginnendem Pflege- und Unterstützungsbedarf ermöglicht.
Die international bewährten, lokalen, multiprofessionell besetzten Primärversorgungszentren bieten pflegerische, präventive, medizinische, psychosoziale und rehabilitative Leistungen unter einem Dach, gebündelt und koordiniert in einer integrierten Versorgung. Speziell qualifizierte Pflegefachpersonen1, Community Health Nurses, sind autonom in den Zentren in einem definierten Handlungsfeld tätig und übernehmen oft zentrale Koordinations- und Steuerungsfunktion (Schaeffer, 2017). Ihre Aufgaben hängen stark davon ab, in welchem Setting sie eingesetzt sind: welche medizinisch-pflegerischen Bedarfslagen in der Population vorherrschen, welche Klientengruppen die Versorgungseinrichtung besuchen, welche Interventionsstrategien vorrangig angewendet werden und welche Gesundheitsprobleme anzutreffen sind:
- Krankheitsabhängig, z.B. Herzinsuffizienz, Diabetes, psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen, chronischer Krankheit,
- Bevölkerungsabhängig; Ausrichtung der Community Health Nurse auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe (z.B. Alte, Kinder, Randgruppen, Flüchtlinge, Alleinlebende, Wohnungslose etc.) in einer Region.
- Je nach Aufgabenfeld, in dem die Community Health Nurse eine breit angelegte Primärversorgung der Bevölkerung versieht und bei Bedarf einen Arzt hinzuzieht oder mit einem Arzt zusammenarbeitet.
Die Community Health Nurse erwirbt die erforderlichen Kompetenzen in einem Master-Studium. Eine Ausbildung in einem Pflegeberuf ist Voraussetzung ebenso Berufserfahrung. Die umfassende Qualifikation als Pflegefachperson und der ganzheitliche Blick auf den Menschen sind unabdingbar. Community Health Nurses verfügen unter anderem über die Kompetenzen zur:
- Bearbeitung neuer komplexer Aufgaben und Problemstellungen,
- eigenverantwortlichen Steuerung von Prozessen in einem wissenschaftlichen Fach oder in einem strategieorientierten beruflichen Tätigkeitsfeld,
- verantwortlichen Leitung von Gruppen oder Organisationen im Rahmen komplexer Aufgabenstellungen,
- Vertretung ihrer Arbeitsergebnisse im interdisziplinären Team und zur Führung einer fachlichen, bereichsspezifischen und übergreifenden Diskussion,
- Erschließung von eigenständigem Wissen zur Bewältigung neuer anwendungs- und/oder forschungsorientierter Aufgaben.
Zur Ausgestaltung der Rolle ist die Orientierung an den skandinavischen Ländern, Kanada, aber auch Österreich hilfreich. Die Etablierung der Community Health Nurse erweitert das Leistungsspektrum in der Primärversorgung. Partiell kommt es zu einer Aufgabenneuverteilung bzw. Verlagerung ärztlicher Aufgaben. Das führt u.a. zu einer Entlastung der Hausärzte.
Das Konzept sieht vor, dass Community Health Nurses in Deutschland vor allem häufig vorkommende Routinetätigkeiten übernehmen. Dazu gehören die Überprüfung des Gesundheitszustandes und der Medikamenteneinnahme, die Erhebung von Befunden und deren Dokumentation, Überprüfung auf Abweichungen, Kontrolluntersuchungen bei chronisch Erkrankten, Anleitung zum Selbstmanagement, Durchführung gängiger Assessments – auch auf psychische Verfassung und Kognition –, Blutentnahmen, Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention. Ihre spezifischen pflegerischen Kompetenzen zum Selbstmanagement bei chronischem Krankheitsgeschehen und edukative Interventionsansätze (Patientenschulung, Beratung) ergänzen das Leistungsgeschehen. Community Health Nurses steuern Versorgungsprozesse, führen Casemanagement durch und koordinieren die Leistungserbringung der Akteure. Sie erheben Gesundheitsbedarfe in der Kommune und sind Bindeglied zwischen Kommune, z.B. dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) und Primärversorgungszentrum. Im Sinne von Leadership übernehmen sie Personalverantwortung.
Eine mögliche, immer wieder propagierte Struktur sind multiprofessionell besetzte, integrierte Gesundheits-/Versorgungszentren. In solchen Zentren – aber nicht nur da – können Pflegefachpersonen (Community Health Nurses) in Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsprofessionen wirken. Weitere Einsatzmöglichkeiten können über den ÖGD, in Medizinische Versorgungszentren oder über das Quartiersmanagement geschaffen werden.
Die Finanzierung der Community Health Nurse kann in Deutschland unterschiedlich geregelt werden, je nach Ansiedlung der Arbeitsstelle. Möglich ist eine Mischfinanzierung aus Leistungen der Krankenkassen sowie öffentlicher, steuerfinanzierter kommunaler Mittel. Die Kommunen haben eine Schlüsselrolle bei Initiierung, Organisation und Aufbau der Pflegeinfrastruktur zur Unterstützung im Wohnumfeld. Die Notwendigkeit ist erkannt, in den Auf- und Ausbau einer vernetzten Primärversorgung zu investieren. Eine gut zugängliche Primärversorgung unterstützt das Abrufen kassenfinanzierter Leistungen. Dies kann gesundheitsförderlich/präventiv wirken und den Eintritt von Pflegebedürftigkeit verhindern oder zumindest verzögern.
Vorbehaltlich der Projektbewilligung durch die Robert Bosch Stiftung sollen Hochschulen bei der Entwicklung von Master-Curricula zu Community Health Nursing gefördert werden.
Infos unter https://www.dbfk.de/de/themen/Community-Health-Nursing.php. Die Langfassung mit Literaturverzeichnis wird auf Wunsch als PDF zugesendet. Bitte wenden Sie sich an