Rotkreuzschwestern: die Pflegeprofis: Menschlichkeit – Die Idee lebt (Verband der Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz e. V. (Hrsg.) )Georg Olms Verlag, Hildesheim, 2007, 392 S., 16,80 €, ISBN 978-3-487-08467-1 Rezension von:Prof. Dr. rer. medic. Martin Knoll |
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Seit mehr als einem Jahrhundert helfen Rotkreuzschwestern Menschen in Not und bewähren sich in den unterschiedlichen Situationen und Einsatzgebieten – in Deutschland und in der Welt. Durch persönliche Erinnerungen, Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Interviews werden ihre Erlebnisse dem Leser in dem vorliegenden Buch nahegebracht. Diese ausdrucksstarken Zeitzeugnisse offenbaren die Vielfalt des Berufs der Rotkreuzschwester und lassen das 20. Jahrhundert zudem auf eigene Weise wieder lebendig werden.
Entstanden ist ein lesenswertes Buch, das die Entwicklung einer bemerkenswerten Organisation erlebbar und spürbar macht: Seit wann gibt es DRK-Schwesternschaften? Warum wurden sie gegründet? Welche Aufgaben und Ziele haben sie? Wie werden sich die DRK-Schwesternschaften in einem ökonomisch dominierten Gesundheitswesen zukünftig positionieren können? Dokumentiert wird ihre Fachkompetenz in der Pflege, die eindrucksvolle Professionalität und hohe ethische Verankerung von Rotkreuzschwestern. Der Verband der Schwesternschaften vom DRK e. V., der 2007 sein 125-jähriges Bestehen feierte, kann stolz auf seine „Pflegeprofis“ sein.
Das Buch ist eine vollständig überarbeitete und aktualisierte Fassung des in den sechziger Jahren erschienenen Buches „Der Ruf der Stunde. Schwestern unter dem Roten Kreuz“.
Die eindrucksvolle Beschreibung auf der Umschlagrückseite regt zum Lesen an: Alleinstellungsmerkmal der Rotkreuzschwestern (korrekt: Schwesternschaft vom Deutschen Roten Kreuz) sei die professionelle Pflege? Die „Pflegeprofis“? Diese Aussagen schreien förmlich nach einer kritischen Betrachtung.
Von unserer Ausbildung und/oder aus dem Studium her erinnern wir uns sicherlich noch an den couragierten Herrn Dunant, der 1863 zusammen mit Moynier, Appia, Maunoir und Dufour in Genf eine Organisation gegründet hat, aus der einerseits das (Internationale) Rote Kreuz hervorgegangen ist und denen wir andererseits die Genfer Konvention von 1864 zu verdanken haben. Tradition ist wichtig, natürlich, gar keine Frage! Ob man darauf stolz sein sollte? Ansichtssache des Betrachters. Und es ist schön, wenn heute nicht nur in die Zukunft gesehen, sondern auch die eigene Vergangenheit reflektiert wird. Dabei sollte man aber auch die Kehrseite nicht vergessen, so beispielsweise die zweifelhafte Rolle der DRK-Schwestern im Dritten Reich bzw. im Krieg, der das Buch ein eigenes Kapitel widmet (vgl. S. 97-122). Leider wirken einige der Lebenserinnerungen der Rotkreuz-Schwestern, die als Zeitzeugen befragt wurden, eher kriegsverherrlichend, als fachlich-sachlich. Und dieser Stolz auf die Vergangenheit sollte nicht blind machen für die Zukunft. Das, was das vorliegende Buch als (negative) Ökonomisierung des Gesundheitswesens (vgl. Umschlagsrückseite) beschreibt, sollte in der Folge auch zu einer Patientenzentrierung führen, die eines von uns fordert: Qualität, und zwar Ergebnisqualität aus der Sicht des Patienten. Es geht nicht darum, was mein Unternehmen in den letzten 125 Jahren geleistet hat, sondern darum, was es heute für den Patienten leisten kann. „Pflegeprofi“, wie dies der Buchtitel behauptet, bin ich nicht dadurch, dass ich einer traditionsreichen Organisation angehöre und eine (auf dem Bucheinband groß abgebildete) sauber gebügelte Uniform anhabe, die heute mit dem Euphemismus „Imagekleidung“ beschrieben wird (vgl. Umschlagsrückseite, vgl. Bilderteil, vgl. Internetauftritt http://www.drk.de/adressen.html). Sicherlich: Es ist ja hinreichend bekannt, dass sich „der Deutsche nun mal gerne uniformiert“. Doch muss ich hierfür im 21. Jahrhundert eine Pflegeorganisation bemühen? Sollte ich nicht lieber – wenn ich meinen Gemeinschaftssinn und meine Zugehörigkeit ausdrücken möchte oder mich gerne verkleide – Pfadfinder, Hotelportier oder Flugbegleiter(in) werden? Oder vielleicht gleich zur Bahn oder zur Armee gehen? „Pflegeprofi“ bin ich nicht durch Zugehörigkeit oder Uniform, sondern durch exzellente Ausbildung, konsequente Fort- und Weiterbildung, aktuellen Wissensstand, Qualifikation in Fähig- und Fertigkeiten, Evidenz-basiertes und durch theoretische oder abstrakte Handlungshintergründe fundiertes professionelles (Pflege-)Handeln. Dies führt zu einer messbaren Leistung (Ergebnisqualität), die von allen Prozesspartnern transparent wahrgenommen werden kann.
Was mir als Krankenpfleger natürlich unangenehm in Auge sticht: Rotkreuzschwestern – gibt‘s denn da keine männlichen Pflegende? Kurz und bündig: nein! Aber die Schwesternschaft vom Deutschen Roten Kreuz ist ein eingetragener Verein und wer (oder wer nicht) Mitglied werden kann, entscheidet der Verein selbst; schließlich hat man ja früher auch keine Juden und Farbige aufgenommen (vgl. S. 98). Aber auch für Frauen ist die Arbeitssituation auch nicht ganz alltäglich (vgl. S. 17): Rotkreuzschwestern sind nicht beim Verein angestellt, sondern nur Mitglieder. Eben Basisdemokratie. Dafür gibt‘s auch keinen Arbeitsvertrag (sondern eine Satzung und Mitgliederordnung), keine Personalvertretung und keine Gewerkschaft. Sozialleistungen und Gehalt (TVöD/BAT) werden aber trotzdem bezahlt – eine interessante Konstellation, die schon das Bundesarbeits-, das Bundesverwaltungs- und das Bundessozialgericht sowie den Bundesfinanzhof beschäftigt hat (vgl. S. 17). Und wichtig anzumerken: Auch wenn es der Name implizieren könnte, ist die Schwesternschaft weltlich, d. h. überkonfessionell und nicht kirchlich.
Alles in allem ist das vorliegende Buch „Rotkreuzschwestern. Die Pflegeprofis. Menschlichkeit – Die Idee lebt“ eine schöne Übersicht über die historischen Leistungen des Vereins der Schwesternschaft vom Deutschen Roten Kreuz mit ihren 34 noch bestehenden Mutterhäusern bzw. ihren 55 nicht mehr existierenden Niederlassungen (… die ehemaligen deutschen Kolonien sucht man hier allerdings vergebens …). Das Buch bezeugt Tradition, auch wenn ein (zu kurzer) Exkurs über Akademisierungsbestrebungen gewagt wird (vgl. S. 90-95). Aus pflegewissenschaftlicher Sicht spiegeln allzu viele Schilderungen auch aus aktueller Zeit ein teilweise erschreckend tradiertes Pflegehandeln wider (S. 123-222). Entsprechend erscheint der Wandel des traditionell handelnden Vereins in ein pflegeprofessionell agierendes Unternehmen noch nicht vollzogen worden zu sein. Mir persönlich kommen Zukunftsvisionen, d. h. Zielsetzung, Marschrute (um in der militarisiert wirkenden DRK-Terminologie zu bleiben), Messung und Evaluation der Zielerreichung, deutlich zu kurz. Und die Identifizierung der Rotkreuzschwestern als „Pflegeprofis“ mit Alleinstellungsanspruch erscheint mir persönlich als maßlose Selbstüberschätzung, rational nicht belegt und damit allzu deutlich überzogen.