Professionalität in der Sozialen Arbeit (Rezension)

Professionalität in der Sozialen Arbeit (Becker-Lenz, Roland et al.(Hrsg.))

VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2009, 2. Aufl., 352 S., 39,95 €, ISBN 978-3-531-16079-5

Rezension von: Dr. Hubert Kolling

Im deutschsprachigen Raum gibt es seit Jahren eine kontrovers geführte Diskussion über unterschiedliche Positionen zur Professionalisierung und Professionalität Sozialer Arbeit. Die Frage, was Professionalität in der Sozialen Arbeit bedeutet, wird dabei nicht einheitlich beantwortet. Im Gegenteil liegen theoretische Ansätze und Ergebnisse der empirischen Forschung vor, welche zu unterschiedlichen und miteinander zum Teil in Widerspruch stehenden Bestimmungen von Professionalität in der Sozialen Arbeit gelangen. Gleichzeitig differenzieren die Einschätzungen hinsichtlich des Professionalisierungsstandes der Sozialen Arbeit, wobei in Hinblick auf eine fortschreitende Professionalisierung - und zwar hinsichtlich der Praxis, der Forschung, der Ausbildung und der Supervision der Sozialen Arbeit - unterschiedliche Aspekte als relevant erachtet werden.

Der von Roland Becker-Lenz, Stefan Busse, Gudrun Ehlert und Silke Müller herausgegebene Sammelband "Professionalität in der Sozialen Arbeit" stellt entsprechende Debatten in Einzelbeiträgen dar. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei die Frage, welche Bedeutung diese für die Theoriebildung, die Praxis sowie die Aus- und Fortbildung Sozialer Arbeit hatten und haben. Die Beiträge gehen auf eine dreitägige Arbeitstagung zurück, die im Frühjahr 2008 in Olten (Schweiz) stattfand und in Kooperation zwischen der Fachhochschule Nordwestschweiz / Hochschule für Soziale Arbeit (Schweiz), und der Hochschule Mittweida, Fachbereich Soziale Arbeit (Deutschland), organisiert wurde.

Ein paar Angaben zum Herausgebergremium: Dr. phil. Roland Becker-Lenz (Jahrgang 1963), Diplom-Soziologe und Diplom-Sozialarbeiter, ist Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz / Hochschule für Soziale Arbeit. Er veröffentlichte unter anderem (mit Silke Müller) "Der professionelle Habitus in der Sozialen Arbeit. Grundlagen eines Professionsideals" (Bern 2008), "Eigeninteresse und Gemeinwohlbindung im Freiwilligen Sozialen Jahr. Adoleszenzkrisenbewältigung und sittliche Vergemeinschaftung als Motivation von freiwilligen" (Bern 2004). Dr. rer. nat. Stefan Busse (Jahrgang 1957), Diplom-Psychologe, ist Professor am Fachbereich Soziale Arbeit an der Hochschule Mittweida / Rosswein. Er veröffentlichte unter anderem "Psychologie in der DDR. Die Verteidigung der Wissenschaft und die Formung der Subjekte" (Weinheim 2004). Dr. phil. Gudrun Ehlert (Jahrgang 1958), Einzelhandelskauffrau, Diplom-Sozialarbeiterin / Sozialpädagogin (FH) und Diplom-Sozialwissenschaftlerin, ist Professorin am Fachbereich Soziale Arbeit an der Hochschule Mittweida / Rosswein. Sie veröffentlichte unter anderem (mit H. Funk) den Beitrag "Strukturelle Aspekte der Profession im Geschlechterverhältnis", in: Birgit Bütow (Hrsg.): "Soziale Arbeit nach dem Sozialpädagogischen Jahrhundert" (Opladen 2008). Diplom-Soziologin Silke Müller (Jahrgang 1977) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Nordwestschweiz / Hochschule für Soziale Arbeit. Sie veröffentlichte unter anderem (mit Roland Becker-Lenz) den Beitrag "Der professionelle Habitus in der Sozialen Arbeit. Grundlagen eines Professionsideals" (Bern 2009).

Der Sammelband vereint neben der Einleitung "Was bedeutet Professionalität in der Sozialen Arbeit?" (S. 9-17) seitens der Herausgeber insgesamt 16 Beiträge, die entsprechend des deutschsprachigen Fachdiskurses grob drei thematischen Schwerpunkten zugeordnet sind:

Entwicklungslinien und theoretische Fundierungen von Professionalität in der Sozialen Arbeit

  • Silvia Staub-Bernasconi: Der Professionalisierungsdiskurs zur Sozialen Arbeit (SA / SP) im deutschsprachigen Kontext im Spiegel internationaler Ausbildungsstandards. Soziale Arbeit - eine verspätete Profession? (S. 21-45)
  • Werner Obrecht: Die Struktur professionellen Wissens. Ein integrativer Beitrag zur Theorie der Professionalisierung (S. 47-72)
  • Klaus Kraimer: Soziale Arbeit im Modus autonomer Erfahrungsbildung - Überlegungen im Anschluss an modellbildende Paradigmen zur Professionalisierung (S. 73-88)
  • Bernd Dewe: Reflexive Sozialarbeit im Spannungsfeld von evidenzbasierter Praxis und demokratischer Rationalität - Plädoyer für die handlungslogische Entfaltung reflexiver Professionalität (S. 89-109)

Die vier Beiträge verbindet die Frage nach dem Status der Sozialen Arbeit als Profession vor allem mit ihrer gesellschaftlichen Funktionsbestimmung. Er bezieht die Beiträge auf "Entwicklungslinien und theoretische Fundierungen von Professionalität in der Sozialen Arbeit". Der Referenzraum sind hier zum einen Modelle der Professionstheorie mit ihren mehr oder weniger eindeutigen Kriterien des "ob" von Professionalität, zum anderen bereits Fragen des "Wie" professionellen Handelns.

Professionalität in der Strukturlogik von Arbeitsbeziehungen und institutionellen Kontexten Sozialer Arbeit

  • Ulrich Oevermann: Die Problematik der Strukturlogik des Arbeitsbündnisses und der Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung in einer professionalisierten Praxis von Sozialarbeit (S. 113-142)
  • Annegret Wigger: Der Aufbau eines Arbeitsbündnisses in Zwangskontexten - professionstheoretische Überlegungen im Licht verschiedener Fallstudien (S. 143-158)
  • Gaby Lenz: Potentiale und Risiken der Professionalitätsentwicklung in der Praxis Sozialen Arbeit - Am Beispiel der Qualitätsentwicklung von Beratung im Zwangskontext Schwangerenkonfliktberatung (S. 159-173)
  • Stefan Köngeter: Professionalität in den Erziehungshilfen (S. 175-191)

Die vier Beiträge im zweiten Themenschwerpunkt betrachten Professionalität vor allem in Hinblick auf die "Strukturlogik von Arbeitsbeziehungen und institutionellen Kontexten Sozialer Arbeit". Während in der soziologischen Professionstheorie, zumindest in den Positionen der strukturtheoretischen Professionstheorie und der interaktionistischen Professionstheorie viele inhaltliche Übereinstimmungen in der Konzeption eines Arbeitsbündnisses beziehungsweise eines Vertrauenskontaktes bestehen, wird im Fachdiskurs der Sozialen Arbeit dieses Thema kontrovers diskutiert. Hierbei geht es insbesondere um die Frage, inwieweit sich soziales beziehungsweise sozialarbeiterisches Handeln (allein) nach dem Modell des "dyadischen Arbeitsbündnisses" konzeptualisieren lässt und welche Funktion hier unterschiedliche Kontexte sozialarbeiterischer Praxis spielen.

Professionalität im Bereich von professionellem Habitus und Persönlichkeit, Biografie, Wissen, Kompetenzen, Qualifizierung

  • Roland Becker-Lenz, Silke Müller: Die Notwendigkeit von wissenschaftlichem Wissen und die Bedeutung eines professionellen Habitus für die Berufspraxis der Sozialen arbeit (S. 195-221)
  • Karl Friedrich Bohler: Berufsethische Elemente von Professionalität in der Jugendhilfe (S. 223-238)
  • Hans Thiersch: Authentizität (S. 239-253)
  • Thomas Harmsen: Konstruktionsprinzipien gelingender Professionalität (S. 255-264)
  • Peter Schallberger: Diagnostik und handlungsleitende Individuationsmodelle in der Heimerziehung. Empirische Befunde im Lichte der Professionalisierungsdebatte (S. 265-286)
  • Gerhard Riemann: Der Beitrag interaktionistischer Fallanalysen professionellen Handelns zur sozialwissenschaftlichen Fundierung und Selbstkritik der Sozialen Arbeit (S. 287-305)
  • Gunther Graßhoff, Cornelia Schweppe: Biographie und Professionalität in der Sozialpädagogik (S. 307-318)
  • Stefan Busse, Gudrun Ehlert: Studieren neben dem Beruf als langfristige Professionalisierungschance (S. 319-343).

Der dritte Themenschwerpunkt verankert schließlich mit acht Beiträgen "Professionalität im Bereich von professionellem Habitus und Persönlichkeit, Biografie, Wissen, Kompetenzen, Qualifizierung". Hierbei geht es unter anderem um die Notwendigkeit von wissenschaftlichem Wissen, berufsethische Elemente, Authentizität, Konstruktionsprinzipien, Diagnostik und handlungsleitende Individuationsmodelle sowie interaktionistische Fallanalysen.

Insgesamt betrachtet spiegelt der Band die Bandbreite und Heterogenität der im Fachdiskurs vertretenen Positionen wieder. Dank der Veröffentlichung sind diese nun, ebenso wie die auf der Tagung geführten Diskussionen, für eine interessierte Öffentlichkeit transparent und leicht zugänglich. Die Lektüre des sehr stark theorieorientierten Buches ist insbesondere für diejenigen von Bedeutung, die sich einen aktuellen Überblick über den derzeitigen Diskussionsstand bezüglich der unterschiedliche Positionen zur Professionalisierung und Professionalität Sozialer Arbeit verschaffen möchten.