Intensivpflege und Anästhesie (Rezension)

Intensivpflege und Anästhesie (Ullrich, L. et al. (Hrsg.))

Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 2010, 2., neu bearb. und erw. Aufl., XX und

Rezension von: Paul-Werner Schreiner

Das von Lothar Ullrich, Dietmar Stolecki und Matthias Grünewald herausgegebene Buch war von als Lehrbuch für die Fachweiterbildung Anästhesie und Intensivmedizin angelegt. Die drei Herausgeber sind in den entsprechenden Weiterbildungen in Münster, Dortmund und Düsseldorf tätig. Dass eine zweite Auflage erscheint, kann als Indiz dafür gewertet werden, dass das Konzept des Buches von der Zielgruppe angenommen wurde.

Das Lehrbuch ist in sechs Abschnitte gegliedert:

  • Aufbau und Organisation von Intensivpflege
    In diesem einleitenden Abschnitt wird die Entwicklung der Weiterbildung in der Intensivpflege und Anästhesie nachgezeichnet, wobei die Entwicklung in der DDR im Besonderen bedacht wird. Die Arbeitsfelder "Intensivstation" und Anästhesie werden beschrieben (u. a. Personalbedarf, Personalmanagement, Rechtliche Bedingungen). Schließlich werden Methoden und Instrumente der Qualitätssicherung vorgestellt.
  • Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin
    Hier wird ein grundlegendes Pflegeverständnis entfaltet sowie über Pflegwissenschaft und -forschung informiert. Dem eigentlichen Thema, das durch die Überschrift intendiert wird, widmet sich ein ausgewiesener Experte für medizinische Ethik. Neben einer Einführung in die Ethik findet der Leser hier eine angemessene Abhandlung zur Hirntodfrage sowie Ausführungen zu typischen kritischen Entscheidungsbereichen in der Intensivmedizin.
  • Intensivpflege
    In diesem Abschnitt werden die großen Themen der Intensivpflege (Kommunikation, Förderung des Bewusstseins, Atmung/Beatmung, Körperpflege usw.) abgehandelt. Ein sehr kurzes Kapitel ist der ambulanten Intensivpflege und Heimbeatmung gewidmet. Hier hätte man sich gewünscht, wenn wenigstens auf die ökonomischen Probleme hingewiesen worden wäre. Der Verweis, dass diese Versorgungsform in den USA etabliert ist, zeugt von einer erschreckenden Unkenntnis der unterschiedlichen Methoden der Finanzierung von Gesundheitsleistungen. Wer ohne Scheuklappen in diesem Bereich tätig war, weiß dies.
  • Intensivmedizinische Versorgung von Patienten mit speziellen Erkrankungen
    Hier wird das ganze Kaleidoskop von Erkrankungen, die in Intensivstationen behandelt werden, abgehandelt - von den Erkrankungen des Atem- und Kreislaufsystems über Erkrankungen des Verdauungstraktes und der Niere bis hin zu Verbrennungen und Polytrauma. Intoxikationen und Multiorganversagen sind jeweils eigene Kapitel gewidmet. Das abschließende Kapitel beinhaltet die intensivmedizinische Versorgung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen, wobei diese Ausführungen wohl mehr eine Einführung für Pflegende sind, die nicht in der pädiatrischen Intensivmedizin tätig sind.
  • Grundlagen der Anästhesie
    Nach einer guten Einführung in die Anästhesie-spezifische Pharmakologie werden die Anästhesieverfahren und das präoperative Management beschrieben. Dem Narkosearbeitsplatz ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Im Weiteren wird die Vorbereitung und Narkoseeinleitung beschrieben und auf das perioperative Wärmemanagement eingegangen. Über allgemeine Strategien der Narkoseführung und die Narkoseausleitung findet sich hier nichts. Auch wenn es sicher korrekt ist, dass dies Aufgabe des Anästhesisten sind, sollte eine Anästhesie-Fachpflegekraft auch diesbezüglich Kenntnisse besitzen, denn die Annahme, dass immer ein Anästhesist zugegen ist, ist doch recht realitätsfremd. Den Komplikationen in der Anästhesie sowie der Tätigkeit im Aufwachraum sind jeweils eigene Kapitel gewidmet.
  • Fallorientierte Pflege in der Anästhesie
    Hier werden die Besonderheiten der Anästhesie in den einzelnen operativen Disziplinen abgehandelt.

Ein umfangreiches Schlagwortverzeichnis erleichtert die Arbeit mit dem Lehrbuch, das nicht nur für Weiterbildungsteilnehmer wertvoll und zu empfehlen ist, sondern auch für "alte Hasen", die zu einem Thema nachschlagen können, in dem sie jetzt gerade nicht "fit" sind.

Zu kritisieren ist nicht, dass manche Ausführungen sich nicht mit dem decken, was der Leser aus seinem Arbeitsbereich kennt - das gilt auch für den Rezensenten - viele Wege führen bekanntlich nach Rom. Auch ist es in einem Lehrbuch für die Weiterbildung legitim, manche Sachverhalte so darzustellen, wie sie vielleicht korrekt sind, wie sie aber in der Praxis nicht erfolgen. Für eine weitere Auflage sollte unbedingt die DIVI-Empfehlung zur Beschriftung von Medikamenten in der Anästhesie sowie in der Intensiv- und Notfallmedizin vorgesehen werden.

Zu kritisieren sind einige der Filme, die sich auf der DVD finden; diese sollte man besser nicht einlegen. Hier werden einerseits zum Teil Dinge gezeigt, die es seit vielen Jahren nicht mehr gibt - Wer macht noch mit Ethrane Narkose? Wo wird noch mit Trapanal die Narkose eingeleitet? Wieso werden in der Herzchirurgie, wo immer eine Temperaturmessung erfolgen muss, Blasenkatheter aus nicht eindeutig zu identifizierendem Material gelegt und dazu eine rektale Temperatursonde, wo es seit bald 20 Jahren transurethrale Katheter aus Silikon mit integriertem Temperaturfühler gibt? Warum wird bei der Punktion der Arteria radialis nur die offene Seldinger-Technik gezeigt, wo es seit Jahren zum einen geschlossene Semi-Seldinger-Techniken sowie Direktpunktionsverfahren gibt, die vermutlich weitaus verbreiteter sind als die gezeigte?

Zum anderen sind dargestellte Sachverhalte einfach nicht plausibel: Warum soll z. B. bei einem narkotisierten Patienten beim Legen einer Magensonde ein Gleitmittel mit Lokalanästhetikum verwendet werden?

Der Redaktion wäre zu empfehlen, die im Hause Thieme vorhandenen Filmchen einmal gründlich sachlich überprüfen zu lassen und den offenkundig im Verlag verbreiteten Brauch, immer wieder die gleichen Filmchen in unterschiedlichen Publikationen zu verwenden, zu verlassen und aktuelle Filmsequenzen herzustellen. Es wäre aus Sicht des Rezensenten allerdings auch kein nennenswerter Schade, wenn man auf die DVD verzichten würde (das gilt im Übrigen auch für andere Thieme-Lehrbücher im Pflegebereich).